Es fing an mit Kartoffeln… dass ich die Idee für die beiden Saatgut-Beiträge diese und letzte Woche hatte… Ich habe mir in den Kopf gesetzt, dieses Jahr bunte Kartoffeln anzubauen. Weil ich möglichst viele verschiedene Sorten ausprobieren möchte, war die Idee, kleine Mengen bunter Speisekartoffeln zu kaufen und die zu pflanzen. Also auf in die – immerhin sechstgrößte – Stadt Deutschlands, zur Jagd nach bunten Kartoffeln. Lange Geschichte in kurz: Ich hab dann online bestellt, weil ich NICHT EINE bunte Sorte gefunden habe.

Das bedeutet jetzt zwar, dass ein Paket auf Reisen geht (aber „regional“ im Laden ist ja auch ein dehnbarer Begriff…). Aber immerhin hab ich jetzt Bio-Qualität und kann davon in den Folgejahren Saatkartoffen zurücklegen. Und b) unterstütze ich damit einen Bio-Erzeuger.

OK, mit den Kartoffeln hätte ich vielleicht noch etwas Zeit gehabt, die werden auch erst im Frühjahr geliefert (ich leg die ja auch frühestens Mitte April) – aber Saatgutbestellung ist ja gerade hochaktuell. Und da stellt sich die Frage: Was heißt eigentlich Bio-Saatgut?

So? „Wenn das europäische Bio-Siegel drauf ist, kann ich mich darauf verlassen, dass das von guter Qualität ist und ökologisch produziert wurden.“ – Nnnnnnjjjjjeiiiinnnn…

Um das Bio-Siegel draufdrucken zu dürfen, ist Voraussetzung, dass das Saatgut auf einer Biofläche erzeugt wurde. Dazu reicht aber a) eine einzige Saison! Und b) – dürfen als Mutterpflanzen konventionell gezüchtete Pflanzen verwendet werden. Verkürzt gesagt: einer Tomate aus konventioneller Landwirtschaft wird Samen entnommen, dieser auf einem Bio-Acker ausgebracht und von den neuen Pflanzen wiederum Samen abgenommen und verkauft. Das ist dann Saatgut, welche die „Hürde“ der EU-Öko-Verordnung nimmt und mit „bio“ beworben werden darf.

Sicher: Besser als Saatgut aus rein konventionellem Anbau, das womöglich noch pilliert und sonstwie behandelt ist. Ja! – Aber: Ist so ein „Bio“ bio genug?

Global beherrschen einige wenige multinationale Konzerne den Saatgutmarkt. Dieses Saatgut kommt aus konventioneller Züchtung, d.h. aus  Anbau mit Mineraldüngern, Pesti-, Herbi- und Fungiziden auf Monokulturflächen. Häufig wird die Vermehrung des Saatgutes im globalen Süden durchgeführt – weil dort die Löhne niedriger, die Gesetze arbeitgeberfreundlicher und die klimatischen Bedingungen für die Saatgutgewinnung günstiger sind.

Was das, von der Belastung für Böden, Grundwasser, die Menschen vor Ort und die Tierwelt mal ganz abgesehen, bedeutet: An lokales Klima und lokale Böden angepasst… ist das nicht!

Dem stellen sich ökologische Saatgutvermehrer entgegen. Sie züchten robuste, krankheits- und „schädlings“tolerante Sorten, die über lange Zuchtphasen an Klima- und Bodenbedingungen angepasst wurden. Ihnen geht es nicht um rationelle Ernte durch gleichmäßiges Abreifen innerhalb eines kurzen Erntezeitfensters und um hohen Ertrag, sondern vielmehr um guten Geschmack, hohen Nährstoffgehalt und eine lange Ernteperiode, die dem einzelnen Gärtner eine über die Zeit verteilte Ernte erlaubt, ohne auf einmal alles ernten und dann auch konservieren zu müssen.  Mit ihrer Arbeit werden alte, regionale und robuste Sorten erhalten und bleiben uns allen verfügbar. Und – es wird nicht nur einmal auf einem Bioacker angebaut, sondern konsequent, über die Jahre hinweg, ökologisch gewirtschaftet.

Diesen Saatgutvermehrern geht es darum, Saatgut als Gemeingut zu erhalten. Ihre Produkte werden nicht patentrechtlich geschützt und sind samenfest – das heißt, jeder kann und darf von den einmal selbst angebauten Pflanzen selbst Saatgut gewinnen und im Folgejahr ohne neu kaufen zu müssen, aussäen. Aber da ist noch viel mehr dahinter!

  • Weltweit ist die Sortenvielfalt an Nahrungspflanzen im letzten Jahrhundert unglaublich zurückgegangen. Unglaublich in Zahlen übersetzt: in Deutschland um 90%!!! (https://www.aktion-agrar.de/saatgut-gemeingut/)
  • Das Wissen um Saatgutzüchtung und –gewinnung erodiert, weil sie rechtlich erschwert wird und auch…
  • …weil sie sich finanziell nicht mehr lohnt und kleine Erzeuger es sich schlicht nicht leisten können, teure Zertifizierungsprozesse zu durchlaufen.
  • EU-Richtlinien benachteiligen Sorten, die nicht den Anforderungen industrieller Landwirtschaft entsprechen. Der Marktanteil alter Sorten ist sogar auf 10% gedeckelt und Amateursorten, die regional bedeutsam, für die industrielle Landwirtschaft aber nicht rentabel sind, dürfen nur in kleinen Verpackungseinheiten in den Verkauf gebracht werden.
  • Eine halbe Handvoll Konzerne beherrscht 2/3 des weltweiten Saatgutmarktes. Dieselben Konzerne, die „passende“ Herbizide, Pestizide, Fungizide und künstliche Düngemittel vertreiben. (https://www.boell.de/de/aus-sieben-werden-vier-der-markt-fuer-kommerzielles-saatgut)
  • Immer mehr Züchtungen dieser Konzerne werden patentrechtlich geschützt. Während der Löwenanteil unserer Nutzpflanzenvielfalt aus dem globalen Süden stammt – werden nahezu alle Saatgutpatente in den reichen Industrieländern beantragt.
  • Damit wird die jahrtausendealte bäuerliche Praxis, Saatgut selbst zu vermehren und Überschüsse zu tauschen oder zu verkaufen, kriminalisiert. Bauern, insb. in wirtschaftsschwachen Ländern in Abhängigkeit und Verschuldung getrieben und…
  • … der fortschreitender Erosion genetischer Pflanzenvielfalt weiter Vorschub geleistet.

Übrigens wird auch hierzulande in der Bio-Landwirtschaft konventionelles Saatgut – eben auf Bio-Äckern – sowie Hybrid-Saatgut verwendet. Verbände wie Bioland und Demeter haben sich selbst deutlich höhere Ansprüche auf die Fahnen geschrieben, als für das EU-Bio-Siegel gelten. Bio ist  nicht gleich bio!

Das ist aber keine üble Trickserei der Bio-Bauern! Alte bäuerliche Sorten schwanken in ihrem Ertrag und aufgrund der Varietät im Aussehen der Ernte, ist diese an uns „Standardgurken“ gewöhnte Verbraucher nicht so gut vermarktbar. Damit ist das Einkommen der Familie  unsicher. Wollen wir, dass kleine, regionale landwirtschaftliche Betriebe überlebensfähig bleiben und sich womöglich noch höheren Ansprüchen als denen der EU-Bio-Verordnung verschreiben, brauchen sie die Unterstützung von uns Verbrauchern:

Was also tun?

Wenn wir wollen, dass alte, regional angepasste Sorten weiter existieren, dann müssen wir…

  • bereit sein, Nahrung den Wert zuzuschreiben, den sie hat und einen Preis bezahlen, der den Bauern ermöglicht, von ihrer Arbeit zu leben
  • heißer Tipp: Einkäufe planen und nicht auf gut Glück einkaufen und dann Überschüsse wegwerfen
  • regional einkaufen und in Läden und auf Märkten gezielt nach regionalen Sorten fragen, um das Thema ins Bewusstsein der Händler zu heben (Vielfalt kaufen und essen!)
  • Und selbstverständlich: unser Saatgut bei Produzenten kaufen, die Saatgut wirklich ökologisch herstellen.

Saatgutsouveränität ist Ernährungssouveränität!

Quellen:

Hier empfehlenswerte Adressen für den Kauf von Saatgut, Pflanzgut und Jungpflanzen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit (unbezahlte Werbung).

Wenn hier die Bezugsquelle deines Vertrauens fehlt, schreib sie bitte in einen Kommentar und lass uns an deinem Wissen teilhaben.

  • https://www.bingenheimersaatgut.de
  • https://biogartenversand.de/
  • https://dreschflegel-shop.de/
  • https://www.sativa-rheinau.ch/
  • https://shop.arche-noah.at/
  • https://www.reinsaat.at/

 

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