Kaltkeimer? Was ist das denn, hab ich mich gefragt, als ich den Begriff zum ersten Mal gelesen habe. Bis dahin kannte ich nur all die vielen Gemüsesorten, die man schön daheim im Warmen in kleinen Töpfchen aussäen und über Wochen hegen und pflegen muss, bis sie endlich nach den Eisheiligen raus ins Freien dürfen.
Aber tatsächlich: es gibt Pflanzen, deren Samen genau das Gegenteil brauchen. Ihre Samen keimen nur, wenn eine Zeit der Kälte erlebt haben. Anhaltende Kälte, ja sogar Frost (!) ist für sie das Signal, dass sie keimen dürfen.
Und – das ist dann keine Überraschung – viele unserer einheimischen Pflanzen gehören dazu. Eigentlich logisch: die Samen fallen im Herbst auf die Erde und bleiben da. Sie nehmen Feuchtigkeit auf – und dann kommt der Winter. Keine gute Idee, jetzt den Austrieb zu versuchen. Dauert die Kälteperiode mehrere Wochen an, „wissen“ die Pflanzen, dass der Winter jetzt dann mal vorbei sein müsste – und keimen. OK, so denk ich als Verhaltenswissenschaftlerin mir das und kann es mir merken. Für die Naturwissenschaftler: es gibt innerhalb eines Samenkorns sowohl keimungshemmende, als auch keimungsfördernde Substanzen. Über die Kälteperiode verändert sich das Verhältnis hin zu keimungsfördernden und der Same treibt schließlich aus. Das „Wissen“ des Samenkorns besteht also in einem bestimmten chemischen Verhältnis, welches zu einem Zeitpunkt die Keimung ermöglicht, die es in der Natur wahrscheinlich macht, dass der Winter bald endet.
Früher verwendete man den Begriff Frostkeimer. Ob der Begriff mit dem Klimawandel verändert wurde, weil die Winter immer milder werden – keine Ahnung.
Die richtige Zeit, Kaltkeimer auszusäen, ist jedenfalls der Herbst, so von September bis November, aber auch noch im Spätwinter, sprich Februar/März. Ich habe Ende November gesät, weil September und Oktober immer noch so warm sind, dass ich das nicht mit dem Wort „Kalt“keimer verbinden konnte. Selbst im November ist es bei uns oft noch in der ersten Woche sehr mild. Jo – einige sind auch schön gekeimt, wie du auf dem Bild sehen kannst. Leider… hab ich die Anzuchtschalen zwar höher gestellt, so dass darunter Luft zirkulieren und Wasser gut ablaufen kann – leider lagen aber wohl die Latten genau unter manchen Abzugslöchern. Zusammen mit der Schneeschmelze war das dann zu nass und ein paar der schon gekeimten Pflanzen gingen ein. Wieder was gelernt. Nächstes Mal stelle ich die auf Gitterkisten, dann gibt es keinen Rückstau.
Jo – und wo wir doch noch Winter haben: war nächstes Mal letzte Woche. Und da es – auch wenn es die letzten Tage um die Mittagszeit so schön sonnig war und ich nach dem heftigen Frost diesen Monat schon „Früüüüüüüüüüüüüüühliiiiiiiiiing“ jubeln wollte – in der Nacht friert es noch. Also – bis anfangs März seh ich da noch ein paar Wochen mit eindeutigem Kältereiz.
Also: du kannst es schnell noch versuchen! Anzuchterde in Töpfchen, Samen rein (oder drauf, ganz viele der heimischen Kaltkeimer sind nämlich auch Lichtkeimer, d.h. sie wollen nicht mit Erde bedeckt werden), angießen und raus damit in die Kälte. Laut Wikipedia sollen Temperaturen zwischen-5° und +5° passen – und das kriegen wir die nächsten Wochen doch hin! Achte aber drauf, dass Wasser gut ablaufen kann – nicht so wie ich in der erste Runde. Wenn du noch Töpfchen von gekauften Pflanzen übrig hast – die haben oft „Beinchen“ und verhindern so Staunässe.
Schau für den Anfang nach Pflanzen, bei denen das mit der Keimung nicht gar so kompliziert ist. Manche brauchen erst noch Wärme, dann viel nass, dann Frost – für die ist es zu spät, die hätten dann tatsächlich noch in den wärmeren Herbstmonaten in die Erde gehört. Und bei manchen Pflanzen steht schon auf dem Saatgutpäckchen, dass sie „unregelmäßig“ keimen. Bärlauch ist so ein Kandidat – mit dem hatte ich per Aussaat noch nie Glück. (Dafür vermehrt er sich gut über Tochterzwiebelchen, die er ganz ohne mein Zutun bildet.)
Ich mache hier bewusst keine Liste mit Kaltkeimern, denn ich habe langsam das Gefühl, dass Angaben zur Verwendung von Saatgut von Webseite zu Webseite anders ist – und das auch bei ganz renommierten Saatgutshops. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer sehe ich: einheimische Wildpflanzen legen alle in der Natur ihren Samen im Winter ab und keimen im Frühjahr. Oder sie starten noch im Spätherbst als Rosette und legen dann im nächsten Frühjahr los, wie z.B. die Knoblauchsrauke.
Ich kann aber berichten, was bei mir dieses Mal prima gekeimt ist: Bertram, Großblättrige Gartenkresse, Echter Hornklee, Einjähriges Silberblatt, Klatschmohn, Postelein, Wilde Malve, Echter Wundklee. Was sich im Garten immer zuverlässig von alleine aussät: Akelei, Sonnenhut, Waldziest. Und in einem der wilden Balkonkästen spitzt schon die neue Generation Kornblumen durch den Mulch. Du siehst – keines unserer Kulturgemüse dabei, eher essbare Wildkräuter und einheimische Blumen. Die mir helfen, Bestäuber anzulocken, die mir wiederum helfen, das Kulturgemüse zu bestäuben.
Manche schicken Saatgut auch künstlich in diese Kältephase, z.B. indem sie es mehrere Wochen in den Kühlschrank legen. Das nennt sich Stratifikation. Dazu werden die Samen 1-2 Tage in lauwarmem Wasser eingeweicht, dann mit Aussaaterde gemischt, in Plastikbeutel gefüllt und ein paar Wochen in den Kühlschrank gelegt, bevor sie dann in Saatschalen oder gleich ins Beet kommen. Wie das bei Lichtkeimern, also vielen in Frage kommenden Pflanzen, funktionieren soll, wenn die mit der Erde vermengt sind, weiß ich nicht. Hab ich noch nicht probiert und hab ich auch nicht vor, weil ich nicht weiß, warum ich versuchen sollte, die Natur nachzubilden, wenn sie direkt vor der Tür ist. Vielleicht bin ich da aber auch auf dem Holzweg?
Wie schaut es bei dir aus? Säst du Kaltkeimer aus und hast du das mit dem Kühlschrank schon mal getestet?