Kennst du die Permakultur-Prinzipien? Wenn du jetzt ganz überzeugt „ja“ sagst, hast du vermutlich die 12 Prinzipien von David Holmgren und die zugehörige Grafik im Kopf. Aber – sind das wirklich DIE Permakultur-Prinzipien?
Kein Kurs der deutschen Permakultur-Akademie, in dem nicht „die Permakulturprinzipien“ gelehrt – und dann die von David Holmgren vorgestellt werden. Ich weiß nicht wie es dir geht – aber als ich mich neu mit Permakultur beschäftigte, hat mich das echt mehr verwirrt, als dass es mir geholfen hat. 12 Prinzipien auf einmal – das war zu viel für mich. Zumal ich unter Prinzipien etwas Klares, Eindeutiges verstehe – Regeln, die sich einfach anwenden und sich klar voneinander unterscheiden lassen.
Das ist für mich bei Holmgrens 12 Prinzipien nicht der Fall. Erstens war es mir immer zu viel auf einmal und erst jetzt, nach inzwischen 12 Jahren Permakultur, habe ich die alle auf dem Schirm. Zweitens schienen (und scheinen) sie mir nicht trennscharf formuliert. Sie überschneiden sich, sind teils redundant, greifen teils in die Ethiken (Earth Care – People Care – Fair Share) über und sind meines Erachtens auch unterschiedlich zu gewichten.
Dazu kommt, dass Holmgren eher einen akademischen Schreibstil pflegt – und die Übersetzungen von Nicht-Muttersprachlern dann sehr merkwürdig klingen.
„Beobachte und interagiere“ – damit komme ich klar. Das ist für mich eins der wichtigsten Prinzipien. Erst mal genau hinschauen, dann eine Idee entwickeln, umsetzen, Wirkung beobachten, ggf. nachjustieren.
Aber: Praktiziere Selbstregulation und akzeptiere Feedback??? Hääää? Nach 12 Jahren weiß ich, dass damit gemeint ist, nicht das Machbare anzustreben, sondern das Notwendige. Also weg vom ständigen Wachstums- und Maximierungswahn zum Sinnvollen und für das System verträglichen. Womit wir bei Earth Care, People Care und Fair Share wären. Und „akzeptiere Feedback“ – also „lerne aus deinen Fehlern“ – das ist doch nix anderes als „Beobachte und interagiere“.
Trotz allem finden sich die 12 Prinzipien nach Holmgren fast so sicher wie die 10 Gebote in der Bibel in der deutschen Literatur zu Permakultur. Und so werden sie auch in den Kursen „heruntergebetet“. Da ich schon immer misstrauisch wurde, wenn ich etwas auswendig lernen sollte, statt etwas zu begreifen und auch kritisch hinterfragen zu dürfen, habe ich mal nachgeschaut in meiner Handbibliothek…
Bill Mollison, der den Begriff Permakultur geprägt und die zugehörigen Praktiken von indigenen Völkern weltweit zusammengetragen hat – hat in „A Designers‘ Manual“ andere – und wie ich finde – leichter verständliche „Prinzipien“ – formuliert. Trotzdem sind die seines Schülers Holmgren zu größerer Berühmtheit gelangt. Ich glaub ja als „gelernte“ Erwachsenenbildnerin noch immer, dass das an der schicken Darstellungsweise als Blume mit 12 Blüten und mit einem Icon pro Prinzip liegt. Das lässt sich halt so schön in eine Präsentation übertragen, ohne viel Arbeit zu machen.
Jessi Bloom und Dave Boehnlein haben in ihrem Buch „Practical Permaculture“, das Pflichtlektüre für meinen zweiten PDC war, im Kapitel „Permaculture Ethics and Principles“ Prinzipien beschrieben, die sich zum Teil mit denen von Holmgren, zum Teil mit Texten von Mollison decken – aber eben auch weitere eingebracht.
Gleiches gilt für Patrick Whitefield, der in seinem „The Earth Care Manual unter „The Principles of Permaculture“ eigene Prinzipien beschreibt. Übrigens ohne sie als „Gebote“ zu formulieren, sondern einfach als das, was sie sein sollen: eine „Brille“, durch die man mit bestimmten Fragen im Kopf schaut, um alles Notwendige zu berücksichtigen. “ Ein Buch, das für unsere Breitengrade passender und genauso umfassend ist wie Mollisons „A Designers‘ Manual“
Graham Burnett beschreibt in seinem „The Vegan Book of Permaculture“ im Einführungskapitel „So what is Permaculture anyway?“ Prinzipien, die ich bei verschiedenen Autoren (Mollison, Holmgren, Whitefield…) gefunden habe – ohne das Wort Prinzipien überhaupt zu benutzen.
Auch Sepp Holzer, der Agrarrebell aus Österreich, benutzt das Wort Prinzipien gar nicht in „Sepp Holzers Permakultur“, sondern beschreibt schlicht, welche Faktoren bei der Entwicklung eines Permakultur-Designs berücksichtigt werden müssen.
Und Aranya, einer DER Lehrer in der britischen Permakulturszene, der sich insbesondere der Vermittlung von Permakultur-Design-Kompetenzen widmet, schreibt in einem Nebensatz ( frei von mir übersetzt) auf S. 14 in Permaculture Design. A step-by-step guide: Du wirst auf deiner Permakulturreise viele verschiedene Versionen von Prinzipien finden. Es geht nicht darum, welches die „richtigen Prinzipien“ sind, sondern vielmehr darum, welche du für dich in deinem Leben nützlich findest.
Und DAS würde ich sofort unterschreiben!
Im Englischen bedeutet Prinzip übrigens nicht nur Prinzip, sondern auch Leitsatz, Grundlage, Verfahrensweise… Ich glaube, mich stört schon das Wort „Prinzipien“, weil es im Deutschen impliziert, dass immer alles prinzipiell genauso zu beachten ist, weil es eben sonst falsch ist. Und aus dieser Denke kommt dann oft der Trugschluss, dass ein Permakultur-Design nur dann ein richtiges Permakultur-Design ist, wenn man alle diese Prinzipien „eingebaut“ und alle möglichen Permakulturelemente aneinandergereiht hat. Bloß – das ist dann ein mechanisches Umsetzen von fixen Vorgaben, also ein Befolgen ohne Denken und hat genau gar nichts mit einem klugen Design zu tun. Ein Permakultur-Design beruht auf einer ausführlichen Analyse – und nicht aus dem Stapeln von Bauklötzchen.
Ich bin überzeugt: Es kommt nicht darauf an, dass du die 12 Prinzipien von Holmgren auswendig aufsagen kannst und all die schrecklich wichtigen Bücher im Original von vorne bis hinten durchgelesen hast. Es kommt darauf an, dass du Permakultur als einen ethischen Design Thinking-Ansatz verstehst, der dir Leitfragen (und das Wort ist mir viel sympathischer als „Prinzipien“) an die Hand gibt, mit denen du für einen ganz spezifischen Ort und ganz spezifischen Bedarf ein ganz spezifisches Design entwickelst. Und Prozessmodelle, mit denen du nicht einfach ein schickes Design entwickelst, sondern auch dessen Funktionalität überprüfst, ggf. nachbesserst und so für Stabilität sorgst.
Ich selbst bin mit Büchern, die vor allem Praxisbeispiele aufzeigen, viel schneller tief in die Materie gekommen, z.B. „Permakultur für alle“ von Sepp und Margit Brunner und „Anders gärtnern“ von Margit Rusch. Von diesen einfachen Anfängen habe ich mich dann in die Tiefe vorgearbeitet. Herzerwärmend und total umfassend für den Einstieg (von Struktur/Übersichtlichkeit her für mich „wandelnde Tabelle“ aber etwas herausfordernd) ist „Gärtnern im Biotop mit Mensch“ von Gerda und Eduard W. Kleber.
Inzwischen sind sowohl Jessi Blooms und David Boehnleins Buch, als auch das von Aranya auf Deutsch erschienen. Ersteres (Praxisbuch Permakultur) deckt in etwa das ab, was in einem 72h-PDK gelehrt wird. Zweiteres (Permakulturdesign Schritt für Schritt) ist meine Empfehlung für alle, die tiefer ins Design einsteigen wollen – ohne hochkomplexe Texte lesen zu wollen, sondern wirklich praxisnahes Analyse- und Design-Werkzeug samt hilfreichen Prozessen zu bekommen.
Bämm! Ein wenig Ketzerei zum Jahresende. – Wie siehst du das mit den Prinzipien? Helfen sie dir oder verwirren sie dich eher?